Psychotherapeut:innen mahnen zu Toleranz und Wahrung der Grundrechte
Berlin, 5. Februar 2024
„Psychotherapeut:innen haben die Würde ihrer Patient:innen zu achten, unabhängig insbesondere von Geschlecht, Alter, sexueller Orientierung, sozialer Stellung, Nationalität, ethnischer Herkunft, Religion oder politischer Überzeugung“, betont der Zusammenschluss der Psychotherapieverbände (GKII). Dies ist in unserer Berufsordnung explizit festgeschrieben.
Die Psychotherapieverbände sehen in Demokratie und Rechtsstaat die besten Garanten für gesellschaftlichen Zusammenhalt, respektvollen Umgang miteinander und Wahrung der sozialen Errungenschaften.
Psychische Gesundheit kann nur in einem Klima von Toleranz und gegenseitigem Respekt bestehen.
Alle Psychotherapeut:innen sind aufgefordert, dieses Wertesystem zu respektieren und damit die Grundlagen eines Zusammenlebens in gegenseitiger Toleranz und gegenseitigem Respekt zu fördern.
Deutsche Gesellschaft für Psychoanalyse, Psychotherapie, Psychosomatik und Tiefenpsychologie, Kurfürstendamm 54/55, 10707 Berlin, www.dgpt.de
Literatur
Bion, W. R (1991): Erfahrungen in Gruppen und andere Schriften. Frankfurt: Fischer-Taschenbuch
Brockhaus, G. (2022). Hasspolitik – Ansteckungsangst und Abwehr. Psyche – Z Psychoanaly 76(7), 599-631.
Decker, F. & Lewandowsky, M. (2009). Rechtspopulismus als (neue) Strategie der politischen Rechten. Online Akademie der Friedrich-Ebert-Stiftung (https://library.fes.de/pdf-files/akademie/online/08320.pdf, aufgerufen im Februar 2024)
Orange, D. (2019). Psychoanalysis, History, and Radical Ethics: Learning to Hear. Routledge.
Parin, P. (1978). Warum die Psychoanalytiker so ungern zu brennenden Zeitproblemen Stellung nehmen. Eine ethnologische Betrachtung. Psyche – Z Psychoanal 32(5/6), 385-399.
Reemtsma, J. P. (2024). Nachwort (50-86). In: Adorno, T. W.: Zur Bekämpfung des Antisemitismus heute. Berlin: Suhrkamp. Weintrobe , S. (2022): Liebe und ihr Überleben in unerträglichen Zeiten. Psyche – Z Psychoanal 76 (12), 1108–1130.
Wirth, H.-J. (2022). Gefühle machen Politik – Populismus, Ressentiments und die Chancen der Verletzlichkeit. Gießen: Psychosozialverlag.
Für Demokratie und Menschenrechte (2024)
Donnerstag, 29. Februar 2024
Stellungnahme der DGPT zum Erstarken des Rechtsextremismus in Deutschland und anderen Ländern
Die DGPT betrachtet das Erstarken des Rechtsextremismus, der zunächst unter „Rechtspopulismus“ firmierte, mit großer Sorge, stellt er doch einen fundamentalen Angriff auf unsere Demokratie dar.
Die Demokratie, die seit den beiden Weltkriegen in der westlichen Welt als ideale Blaupause politischer Ordnung gilt, ist nicht nur in Deutschland zunehmend bedroht – genauso die durch sie repräsentierte Rechtsstaatlichkeit.
In Zeiten, in denen die drohende Klimakatastrophe sowie katastrophale außenpolitische Ereignisse wie die Kriege in der Ukraine und in Israel unsere Gesellschaft herausfordern, ist der Rechtextremismus damit zu einem brennenden Zeitproblem (vgl. Parin, 1978) geworden, das unsere Gesellschaftsordnung von innen heraus angreift.
So wurden Bürger:innen Deutschlands in den letzten Jahren Zeug:innen dafür, dass gefühlt überall auf der Welt der Ruf nach starken Führern vernehmbar wurde. Im Hinblick auf – in chronologischer Reihenfolge – die Europawahlen, die Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen, Brandenburg und die Präsidentschaftswahl in den USA sieht es dieses Jahr so aus, als würden gerade die besonders extremen Kandidat:innen und Parteien – Trump und die AfD – auf erhebliche Zustimmung setzen können.
Besonders schmerzlich – gerade vor dem Hintergrund der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft – ist es, dass auch in Deutschland wieder ein Rechtsruck und damit eine Ausrichtung an rechten Ideologien feststellbar ist.
Dies betrifft uns auch als Psychoanalytiker:innen und Psychotherapeut:innen.
Ideologien unterwandern das kritische Denken systematisch – und können so unter die sozialpsychologisch geprägten Begriffe der „sozialen Pathologien“ (Honneth) oder der „Krankheiten des Gedächtnisses“ (Ricoeur) gefasst werden, sofern sie die Breite der Gesellschaft erfasst und sich dort verfestigt haben.
Das Charakteristikum rechter Ideologie ist die Entwertung von kultureller Differenz und das Schüren von Haß gegen bestimmte Gruppen (Eliten, Migranten, Liberale, Grüne, LBTQ+ etc.), wodurch letztlich soziale Ungleichheit und Ungleichwertigkeit zementiert und zur Norm erhoben werden.
Eine solche Strategie hat maßgeblich zum Wahlsieg Donald Trumps im Jahr 2016 beigetragen. Durch Prozesse der Dethematisierung werden Macht- und Herrschaftsverhältnisse verschleiert, stehen dem gemeinschaftlichen Diskurs nicht mehr zur Verfügung.
Während vor zehn Jahren noch ein deutlicher Unterschied zwischen „Rechtsextremismus“ und „Rechtspopulismus“ zu verzeichnen war (vgl. Decker & Lewandowsky, 2009), kann diese Trennung heute so nicht mehr aufrechterhalten werden. Dies zeigen auch die Recherchen des Verfassungsschutzes. Erst kürzlich erregte das Treffen zwischen rechten Politikern und Neonazis in Potsdam, sowie die dort postulierte Umdeutung des Begriffs „Remigration“ – der mit Recht zum „Unwort“ des Jahres gewählt wurde, für Entsetzen in der breiten demokratischen Mitte.
In der zunehmend offenen Annäherung zwischen Extremismus und Populismus erfährt die rechte Bewegung eine große Kraft, in der sich die Leugnung historischer und aktueller Verantwortung manifestiert. Von hier aus müssen wir weiterdenken zu der Gefahr, dass das Recht auf die unantastbare Würde des Menschen nur noch einer Subgruppe von Menschen zugesprochen wird. „Rechtspopulismus“ und -extremismus entstehen nicht im luftleeren Raum, sondern vor dem Hintergrund einer komplizierter gewordenen Welt, die stark regressive und vereinfachende
Strömungen hervorgebracht hat.
Komplizierter und damit überfordernder geworden ist die Welt durch Prozesse von Entgrenzung, um nur einige zu nennen: Zwang zum steten Wirtschafswachstum, Globalisierung, Digitalisierung, Beschleunigung, Ablösung der dualen Weltordnung des Westens vs. Ostblock, Infragestellung der Geschlechterdualität, Infragestellung von Institutionen aller Art.
Die extremen populistischen Welterklärungen setzen auf Komplexreduktion durch vereinfachende Erklärungen i. S. von Schuldzuweisungen und Sündenbocksuche.
Auf diese Weise gerät die Gesellschaft in die erregte Verfassung einer „Grundannahmengruppe“ (Bion), in der sich Subgruppen auf das Schwerste bekämpfen und in der eine Entfesselung des Irrationalen und Destruktiven zu verzeichnen ist.
Politische Brandstifter machen sich dabei die Unzufriedenheit vieler Bürger zunutze, die durch Klimakrise, Migration, Kriege und nach der Pandemie ihren Lebensstandard in Frage gestellt sehen und den sozialen Abstieg fürchten oder ihn schon erlitten haben (vgl. Wirth, 2022). Diese Bürger fühlen sich nicht mehr in einer Kultur zuhause, die Individualismus, Exzeptionalismus und Autonomie überbetont.
Wenn das Denken, das versucht der Komplexität der heutigen Welt gerecht zu werden, „unter Feuer“ (Bion) geraten ist, locken „Rechtspopulismus“ und Hasspolitik mit einem regressiven Angebot, einem Appell an das Unbewusste, welcher ausschließlich die Affekte reizt und die Vernunft lähmt (Reemtsma, 2024, S. 69; vgl. Brockhaus, 2022).
Die generalisierte Zuschreibung von Inkompetenz durch die AfD als vermeintliche Rechtfertigung für ihren Hass gegenüber den Regierungsparteien, erreicht all diejenigen, die von der Politik enttäuscht sind und nach einfachen Lösungen für aktuelle komplexe Problemstellungen verlangen.
Besonders wirksam werden vermeintlich einfache „Lösungen“ durch Spaltungen erzeugt, denn so lässt sich die Welt scheinbar in handhabbare Dichotomien fassen. Der besondere Effekt kann dann erzielt werden, wenn sich viele Individuen von gleichgerichteten feindseligen Emotionen, wie Hass oder Ressentiments, anstecken lassen. Die so erzeugte Resonanz in der Gruppe kann sich leidenschaftlich entwickeln, das Gruppengefühl stärken und zu gemeinschaftlich getragener Handlung gegen Außenstehende motivieren.
Extremer Populismus wehrt jegliche Gefühlsbindung mit den als anders erlebten Menschen ab. Die negativen Gefühle richten sich auf die als fremd und nicht-identitär erlebten Anderen und entwerten diese bis hin zur Entmenschlichung.
Ressentiments wirken wie Planken einer Plattform, d.h. wenn Hass und Abwertung am Platz sind, dann richten sie sich nicht nur auf eine, sondern gleich auf verschiedene Gruppierungen (vgl. Adorno, 1962/2024, S. 12).
Zielgruppen sind diejenigen, die sich als Feindbilder eignen, das kann die Gruppe der Migrant:innen sein, aber auch die Eliten. Neben der Stärkung des erlebten Werts der eigenen Zugehörigkeitsgruppe und des Selbst, werden durch einfach-gehaltene Feindbilder und ideologisch untermauerte Manipulationen eine Orientierung vermittelt. Und endlich kann Ordnung halluziniert werden. Zwar bleiben die Ereignisse im Außen ungewiss und chaotisch, doch die Individuen der durch Hass und Entwertung zusammengeschweißten Gemeinschaft können eine Regulation von Angst und Unsicherheit erleben, wenn auch auf niedrigem psychischen Funktionsniveau.
Wie sehr die liberale Mitte die eigenen Werte und die Demokratie durch den Rechtsruck bedroht sieht, zeigen die zahlreichen Demonstrationen „gegen rechts“, die seit Januar in vielen deutschen Städten stattfinden, nicht nur in Großstädten und nicht nur in den alten Bundesländern. Wie viele Menschen ein Bekenntnis zur Demokratie, aber auch ein Eingeständnis für deren Verletzbarkeit leisten wollen, zeigen abends die Nachrichten, wenn beispielsweise bekannt wird,
dass Demonstrationen wegen Überfüllung geschlossen werden mussten.
Die Herausforderung für Menschen, die gegen den „Rechtspopulismus“ auf die Straße gehen, besteht darin, dass ja auch sie unzufrieden, angstvoll sind und nicht wissen können, ob sie mutig und hoffnungsvoll in Zukunft schauen können. Auch sie können der massenpsychologischen Regressionsverführung erliegen – beispielsweise dann, wenn Parolen skandiert werden wie „Wir hassen die AfD“. Diese mimetische Reaktion auf rechtsextreme Botschaften ist nur dazu geeignet, Radikalität und Spaltung in der Gesellschaft voranzutreiben, nicht aber das kritische Denken zu vertreten und einzufordern.
Kritisches Denken wird überhaupt erst von einer Position aus möglich, wenn das Subjekt den Verlust der Gefühlsbindungen zum Anderen als schmerzvoll und als Limitierung antizipieren kann.
Rechtsextremismus, -autoritarismus, -populismus sind keine Themen, die nur außerhalb des Therapieraums existieren. Denn der Rahmen, der unser psychotherapeutisches Handeln möglich macht, ist untrennbar verknüpft mit unserem demokratischen Rechtsstaat, sowie unserem Sozialstaat, in dem alle Menschen einen Anspruch auf Krankenversorgung haben.
Natürlich können durch Hasspolitik erzeugte Gefühle auch in den Therapieraum hineindringen, z. B. als Folge des Konsums von AfD-Werbevideos, als Angst und Verfolgungsgefühl einer Migrantin oder als Ventil für die schier unaushaltbare Wut eines Patienten.
Psychotherapeut:innen können unter Umständen durch einen unauflösbaren Gefühlsknoten irritiert sein, der angesichts der:des politisch Andersdenkenden im Praxisraum auftritt.
Obwohl das Politische im Therapieraum mit vielfältigen negativen Gefühlen verbunden sein kann, die Forderung nach „absichtsloser“, neutraler Haltung bleibt. Da, wo der (Rechts-)Exremismus beginnt, ist allerdings keine Neutralität mehr nötig und sinnvoll, denn als Psychotherapeut:innen und Psychoanalytiker:innen sind wir der Menschenwürde, den demokratischen Grundwerten unserer Gesellschaft, die mit zum Rahmen unserer Arbeit gehören, verpflichtet.
Dabei müssen wir uns natürlich nach wie vor auf unsere Fähigkeit zur freischwebenden Aufmerksamkeit und Triangulierung verlassen können.
Vor diesem Hintergrund hat sich die Psychoanalyse schon immer, und bezugnehmend auf Freuds kulturtheoretisches Fundament, kritisch zu gesellschaftlichen Fragestellungen geäußert.
Die politische Psychoanalyse fordert Verantwortungsübernahme jenseits der Couch.
Beispielsweise, wenn Horst Eberhard Richter (1984) zum Erlernen eines Verantwortungsbegriffs ermutigt, „der eine Brücke schlägt zwischen der inneren Veränderung des einzelnen und seiner praktischen Verantwortung für das Ganze.“ (S. 1122).
Als zeitgenössische Entwürfe psychoanalytisch geprägter gesellschaftlicher Verantwortungsübernahme lassen sich die Begriffe des „Hüters des Anderen“ und des radikalen „Hören“ (Orange, 2019) sowie der „Kultur der Fürsorge“ (Weintrobe, z.B. 2022) nennen. Beiden Autorinnen gilt die unantastbare ambivalent geprägte Bindung zum jeweils Anderen – die Solidarität – als Ausgangspunkt für die Forderung nach Begrenzung von destruktiver Allmacht, Schutz von menschlichem Leben und Stärkung von Heteronomie und kooperativer Freiheit.
Dieser Forderung schließt sich die DGPT an –
deshalb sind alle Psychotherapeut:innen, alle Psychoanalytiker:innen und letztlich alle Bürger:innen aufgefordert, die Menschenwürde und die demokratische Gesellschaft zu verteidigen, um der „leisen Stimme der Vernunft“ gegenüber allen populistischen, irrationalen und destruktiven Versuchungen wieder mehr Geltung zu verschaffen.
Der Vorstand der DGPT
Nein zu Antisemitismus und Terror (2023)
Stellungnahme der DGPT zum Angriff auf Israel- November 2023
Am 7. November 23 war es vier Wochen her, seit die Hamas in einer unfassbaren Terroraktion ein grausames Massaker in Israel angerichtet und dabei weit mehr als 200 Geiseln gefangen-genommen hat. Sie hat auf eine abscheuliche Art und Weise mit einer an Sadismus kaum zu überbietenden Schamlosigkeit die Morde, Verschleppungen und Folterungen in den sozialen Medien verbreitet und damit auch uns getroffen und zu Zeugen dieser Barbarei gemacht.
Am 9. November 23 erinnerten wir uns daran, dass vor 85 Jahren die Synagogen brannten und jüdisches Leben dem Terror des NS-Regimes zum Opfer fiel. Josef Schuster, der Zentralrats-vorsitzende der Juden, sprach auf der Gedenkfeier in Berlin jedoch vom „Pogrom unserer Zeit“ – „Es ist etwas aus den Fugen geraten in diesem Land“.
Uns fehlten die Worte, wie wir angemessen auf dieses Geschehen reagieren sollten – uns fehlten die Worte, wie wir ausdrücken sollten, wie ohnmächtig und hilflos wir uns fühlen angesichts der terroristischen Gewalt der Hamas. Wie wir ausdrücken könnten, wie sehr wir diese Taten verurteilen und mit den in Israel Betroffenen trauern und gleichzeitig unser Mitgefühl allen gilt, die in der Folge dieser terroristischen Akte in dem nun entbrannten Krieg zum Opfer werden. Wie sehr wir darum trauern, dass dieser Akt der Gewalt die Friedensbestrebungen vernichten möchte und zerstört. Friedensbestrebungen, die gerade von den Menschen unterstützt wurden, die aktuell von der Gewalt am meisten betroffen sind. Uns fehlten die Worte, wie wir unser Entsetzen und unsere Bestürzung hierüber zum Ausdruck bringen können.
In den letzten Wochen erleben wir aber auch hier in Deutschland, wie die Angst verstärkt einzieht unter jüdischen Mitbürgern, wie auch hier offener Antisemitismus sichtbar wird. Deshalb wollen wir nicht länger schweigen. Dabei bedienen wir uns auch der Worte von Jüdinnen und Juden, die uns ihre Stimme leihen, um etwas von dem auszudrücken, was in uns vorgeht.
Robert Habeck hat in seiner denkwürdigen Rede am 2. November in einer großen Klarheit formuliert, dass Antikolonialismus nicht zu Antisemitismus führen darf. Die mangelnde Klarheit hierüber führt offensichtlich auch zu Verletzungen.
Marina Klimchuk, eine linke Israelin, prangert in einem sehr bewegenden Text in der ZEIT (Z:ETT 18. Oktober 23) die Tatsache an, dass der Massenmord durch die Beschreibung als einen Akt der Dekolonialisierung eine für sie nicht nachzuvollziehende Bagatellisierung erfährt. Sie schreibt „die israelische Linke fordert … Einen Waffenstillstand, um die humanitäre Katastrophe in Gaza zu beenden. … Ich fordere das auch. Aber ich merke, dass etwas zerbrochen ist. Die Wahrheit ist: Die Reaktionen, die auf das Massaker der Hamas folgten, haben mich sehr verletzt. … Denn welchen Wert hat Empathie, wenn sie nur für eine Seite gemeint ist. Wer es ernst meint mit der Solidarität, dem muss sie für alle gelten“.
Robert Habeck sagt es so: „die Solidarität mit Israel wird rasch brüchig“.
Wir sehen uns in der Verantwortung gegen jegliche Form von Antisemitismus Stellung zu beziehen und all jene, die wir unterstützen können, zu schützen, an ihrer Seite zu stehen, unsere Solidarität auszudrücken.
Wir sehen uns aber auch in der Verantwortung, uns für eine Mitmenschlichkeit einzusetzen, die es in diesen polarisierten Tagen schwer hat – die Hamas hat nicht nur israelische Geiseln genommen, sie nimmt auch die palästinensische Zivilbevölkerung in Gaza in Geiselhaft.
Die humanitäre Katastrophe, in der die Menschen leben, die Angst und die vielen zivilen Opfer auf beiden Seiten der Grenzen, die Bilder, die uns jeden Tag erreichen bewegen uns und machen uns fassungslos.
Was können wir als Gesellschaft – auch als Fachgesellschaft tun?…
Es braucht wohl Zeit – und es braucht Menschen, die immer wieder darum ringen, die Verbindung zum Anderen nicht zu verlieren und weiter um eine friedliche Lösung zu kämpfen, auch wenn diese weiter in die Ferne gerückt scheint denn je.
Gesundheit ist ein Menschenrecht (2021)
Zum Tag der Menschenrechte – BÄK, Berlin, 10.12.2021:
Resolution des Vorstands der Bundesärztekammer
25 Jahre Menschenrechtsbeauftragter – „Gesundheit ist ein Menschenrecht“
„Menschen haben das Recht auf notwendige und angemessene medizinische Behandlungen. Um für dieses Recht zu sensibilisieren, hat der Vorstand der Bundesärztekammer vor 25 Jahren im April 1996 beschlossen, das Amt eines Beauftragten für Menschenrechte beim Vorstand der Bundesärztekammer einzurichten.
Die Beachtung der Menschenrechte und die Wahrung der Menschlichkeit, wie auch im Genfer Gelöbnis definiert, sind fester Bestandteil der ärztlichen Berufsausübung und Profession.
Dennoch sind Menschenrechte in der Medizin nicht automatisch geschützt, wie die Zeit des Nationalsozialismus offenbart, als die verfasste Ärzteschaft sich einer menschenverachtenden Ideologie angeschlossen hatte. Die Verstrickungen von Ärztinnen und Ärzten in die Verbrechen des Nationalsozialismus sind der Ärzteschaft in Deutschland Mahnung und Auftrag zugleich, Intoleranz, Diskriminierung und Ausgrenzung nicht zu dulden sowie Hass und Gewalt entschieden entgegentreten.
Das Menschenrecht auf gesundheitliche Versorgung ist für alle Menschen umzusetzen.
Aus dem Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG) in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG) ergibt sich die Pflicht des Staates, ein tragfähiges Gesundheitssystem zu schaffen.
Schutz und Wiederherstellung der Gesundheit stehen in § 1 der (Muster-) Berufsordnung für die in Deutschland tätigen Ärztinnen und Ärzte (MBO-Ä).
Die Berufsordnung beinhaltet das Recht eines jeden Menschen auf eine vorurteilsfreie Versorgung – unabhängig von Erkrankung, sozialem Status, Herkunft, Nationalität und Aufenthaltsstatus.
Ärztinnen und Ärzte dürfen an der Ausübung des Berufes nicht gehindert werden.
Es ist Aufgabe des Gesetzgebers, notwendige Gesundheitsdienste und -leistungen für alle in Deutschland lebenden Menschen zugänglich zu machen und entsprechende rechtliche sowie finanzielle Rahmenbedingungen hierfür zu schaffen.
Darüber hinaus sind präventive Schutzvorkehrungen zur Bekämpfung der wachsenden Gewalt gegen Ärztinnen und Ärzte in der direkten Patient-Arzt-Interaktion zu schaffen.
Gesundheitsversorgung ist eine genuin staatliche Aufgabe und kann nicht von der Zivilgesellschaft voll umfassend abgedeckt werden. Ehrenamtliche Strukturen können nicht die gleiche Verbindlichkeit für Menschen ohne Krankenversicherungsschutz herstellen und zudem nicht in gleicher Weise auf eine besondere Gefährdungslage – z. B. in einer Pandemie – reagieren, wie Strukturen im Regelsystem.
Es ist ärztliche Aufgabe, jeden Menschen gleich zu behandeln.
Alle Ärztinnen und Ärzte haben sich zu diesem ethischen Grundsatz bekannt.
Das Recht auf Gesundheit als ein Menschenrecht in Vollendung umzusetzen, kann nur mit gesellschaftlicher und gesetzgeberischer Unterstützung gelingen.“
Nein zu Stigmatisierung und Diskriminierung (2006)
Appell des 109. Ärztetages in Magdeburg am 25.05.2006
Aktive Bekämpfung der Stigmatisierung und Diskriminierung von Menschen mit psychischen Erkrankungen
Für eine Stärkung der ärztlichen Psychotherapie und gegen Stigmatisierung psychisch Kranker hat sich der 109. Deutsche Ärztetag in Magdeburg ausgesprochen.
Insbesondere der Prävention, Erkennung, Behandlung und Rehabilitation psychischer und psychosomatischer Behandlungen komme in allen Sektoren ärztlichen Handelns eine herausragende Bedeutung zu.
Arbeitgeber, Versicherungen, Vermieter und Medien wurden zum Abbau von Vorurteilen gegen psychisch Kranke aufgefordert.
An die politisch Verantwortlichen richtete der Ärztetag den Appell, die Gleichstellung und Gleichbehandlung psychisch Kranker in allen Bereichen des öffentlichen Lebens zu gewährleisten.
„Trotz einer guten Heilbarkeit von psychischen Krankheiten sind die von ihnen direkt betroffenen Kinder und Erwachsenen, ihre Angehörigen und in der psychiatrisch-psychotherapeutischen Versorgung Beschäftigten subtilen und offensichtlichen Stigmatisierungen und Diskriminierungen auf allen gesellschaftlichen Ebenen ausgesetzt“,
kritisierte der Ärztetag.
Aus Scham würden viele Patientinnen und Patienten wegen einer psychischen Erkrankung daher zu spät oder gar keine ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen.
„Die Häufigkeit psychischer Erkrankungen wird unterschätzt, da die Behandlung oft im Verborgenen oder überhaupt nicht stattfindet“, erklärte Prof. Dr. Norman Sartorius, Wissenschaftlicher Direktor des Weltprogramms gegen Stigma und Diskriminierung der World Psychiatric Association in Genf.
„Psychische und psychosomatische Erkrankungen sind zu einem zentralen Problem des Gesundheitswesens geworden.
Weltweit – so auch in Deutschland – ist eine starke Zunahme psychischer und psychosomatischer Erkrankungen zu verzeichnen“, konstatierte Dr. Astrid Bühren, Vorstandsmitglied der Bundesärztekammer.
Deshalb sei es an der Zeit, die Lebens- und Behandlungssituation von psychisch Kranken und ihren Familien entscheidend zu verbessern.
Psychosoziale Kompetenzen seien schon immer integraler Bestandteil ärztlicher Psychotherapie gewesen. Ziel müsse es sein, abgestuft auf allen Behandlungsebenen, z. B. neben der psychosomatischen Grundversorgung weiterhin die fachgebundene Psychotherapie bedarfsgerecht in allgemein- und fachärztliche Behandlungskonzepte einzubeziehen.
Ärztinnen und Ärzte seien Ansprechpartner für alle körperlichen, seelischen und auch psychosozialen Probleme der Patienten, betonte Bühren.
Psychische Störungen sind in Deutschland mittlerweile die häufigste Ursache für Arbeitsunfähigkeit und für Frühberentungen. Die direkten Kosten für die Behandlung von Depressionen werden auf etwa vier Milliarden Euro jährlich geschätzt. Schon jetzt gehören bei den 14- bis 44-Jährigen psychische Störungen wie Depression, Alkoholsucht und Schizophrenie zu den fünf häufigsten Erkrankungen.
Der Deutsche Ärztetag forderte deshalb die Bundesregierung auf, keine weiteren Spargesetze in der psychotherapeutischen Versorgung vorzunehmen. Den bereits praktizierenden Ärztinnen und Ärzten und auch dem ärztlichen Nachwuchs in Klinik und Praxis müsse durch aktive Unterstützung der Krankenkassen ermöglicht werden, „wieder bewusste Heilkunst für Körper und Seele zu erbringen“.
Die Versorgung im ambulanten Bereich habe sich nach Einführung der Budgetierung deutlich verschlechtert. Das jetzige Budget gewährleiste nicht ausreichend Zeit pro Patient.
„Das Problem ist besonders gravierend im Zusammenhang mit einem massiven Bettenabbau in der stationären Psychiatrie innerhalb der vergangenen Jahre“, erklärten die Delegierten.
Die privaten Krankenversicherungen forderte der Ärztetag auf, keine „Mindeststandards“ zu definieren, indem sie die Anzahl ambulanter psychotherapeutischer Sitzungen in ihren Tarifbestimmungen begrenzen, ohne den tatsächlichen Behandlungsbedarf der Patientinnen und Patienten zu berücksichtigen. Dies gelte insbesondere auch für Alkoholerkrankungen.
„Die Delegierten des 109. Deutschen Ärztetages fordern, dass die Diskriminierung psychisch kranker Menschen durch die privaten Krankenversicherer beendet und statt dessen die Aufnahme in die Versicherung ermöglicht wird„, hieß es in dem Beschluss des Ärztetages.